Factsheet Sensible Berichterstattung
Factsheet Sensible Berichterstattung Sexarbeit

Factsheet für Journalist:innen
„Sex sells“ – Medienberichterstattung über Sexarbeit und Sexarbeiter:innen läuft daher besondere Gefahr, mehr der Sensationslust als der sachlichen Information zu dienen.
Dies hat reale negative Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitswelt von Sexdienstleister:innen.
Checkliste
Sexarbeit nicht als moralisch fragwürdig darstellen
Sexarbeit ≠ Menschenhandel
Vielfalt von Sexarbeiter:innen und Kund:innen darstellen
Selbstbestimmung respektieren
Sexarbeiter:innen nicht als Opfer darstellen
Anonymität von Sexarbeiter:innen gewährleisten
Sexarbeiter:innen in Artikel einbeziehen
Verantwortungsvolle Bildauswahl
Sexarbeit als legale Erwerbstätigkeit positionieren
Factsheet Sensible Berichterstattung Sexarbeit
Um dies zu vermeiden, möchten wir – sexworker.at, dieBerufsvertretung Sexarbeit Österreich, queer sex workers collectiveund die Fachberatungsstellen für Sexdienstleister:innen – mit diesemFactsheet Journalist:innen Dos und Don‘ts der sachlichen undrespektvollen medialen Berichterstattung zum Thema aufzeigen.
Verantwortung der Medien
Medien spielen eine Schlüsselrolle in der Meinungsbildung überSexarbeit und tragen Verantwortung für eine stigmatisierungsfreie unddifferenzierte Darstellung. Zahlreiche Artikel konzentrieren sicheinseitig auf weibliche Sexarbeiterinnen, bewerten Sexarbeit alsmoralisch fragwürdig oder stellen Sexarbeiter:innen vorwiegend alsOpfer dar. Zudem wird Sexarbeit häufig in einen kriminellen Kontextgesetzt.
Bildliche Darstellungen zeigen meist sexualisierte einzelneKörperteileund Anbahnungsszenen auf der Straße – dies führt zu einseitigenVorstellungen von Sexarbeit und Sexarbeiter:innen.
Derartige Darstellungen verstärken zudem Vorurteile, fördernDiskriminierung und erschweren die Arbeits- undLebensbedingungenvon Sexarbeiter:innen, indem negative Haltungen in der Gesellschaftverfestigt werden.
Journalist:innen sollten sich dem Thema Sexarbeit daher sensibel nähernund verantwortungsvoll und ohne Stigmatisierung informieren – auch imSinne des Ehrenkodex für die österreichische Presse (Absatz 7 – Schutzvor Diskriminierung). Dafür ist jedenfalls die Berücksichtigung derPerspektiven von aktiven Sexdienstleister:innen in der Berichterstattungnotwendig
Sprache schafft Wirklichkeit
Sexarbeit bezeichnet sexuelle Dienstleistungen im Einverständniszwischen volljährigen Personen gegenEntgelt. Die Begriffe „Sexarbeit“/“sexuelle Dienstleistung“/“Sexualdienstleistung“ können sinngleichverwendet werden. Der Begriff „Prostitution“ ist negativ konnotiert und wird oft mit Gewalt undMenschenhandel assoziiert und sollte deshalb vermieden werden. Abwertende undstigmatisierende Sprachesollte in Berichten unbedingt vermieden werden, so wird beispielsweise nicht „der Körper verkauft“, sonderneine Dienstleistung.
Sexarbeit ≠ Menschenhandel
Eine klare Unterscheidung zwischen Sexarbeiteinerseits undMenschenhandel zum Zweck dersexuellen Ausbeutung andererseits ist notwendig, umtatsächliche Gewalt sichtbar zu machen. Sexarbeitumfasst einvernehmliche sexuelle Dienstleistungenzwischen Erwachsenen und unterscheidet sich dahergrundlegend vonMenschenhandel und Formensexueller Gewalt.
Die undifferenzierte Verknüpfung von Sexarbeit mitMenschenhandel verstärkt Stigmatisierung undführt oft zu pauschalen Forderungen nach einer Kundenstrafbarkeit oder dient als Vorwand für einerestriktivere Migrationspolitik.
Vielfalt von Sexarbeiter:innen und Kund:innen darstellen
Menschen aller Geschlechter sind in der Sexarbeittätig, auch wenn die Mehrheit weiblich* ist. Auch die Kund:innenschaft ist divers, wenngleich die meistenKunden männlich sind. Dies sollte in Berichten und Bildmaterial sichtbar sein.
Selbstbestimmung respektieren
Die Entscheidung, sexuelle Dienstleistungenanzubieten, wird oft durch sozioökonomische und andere persönliche Lebensumstände geprägt. Dies schmälert jedoch nicht die Fähigkeit derSexarbeiter:innen, diese Wahl selbstbestimmt undeigenverantwortlich zu treffen. Daher sollten Sexdienstleister:innen als mündige und autonomeMenschen dargestellt werden. PauschaleDarstellungen als „Opfer“ verfälschen die Realität und entmündigen sie.
Anonymität gewährleisten
Der Schutz der Identität von Sexarbeiter:innen ist essenziell. Ohne ausdrückliche Zustimmung dürfen weder Name, Arbeitsort, Fotos noch sonstige persönlichen Details veröffentlicht werden, die Rückschlüsse auf die Identität der interviewten Person ermöglichen.
Beispielsweise können Fotos, auf denen Tätowierungen sichtbar sind, die Identität der abgebildeten Person preisgeben. Ein unfreiwilliges Outing kann aufgrund der Stigmatisierung von Sexarbeit erheblich negative Folgen für die:den betroffene:n Sexdienstleister:in haben.
Perspektiven von Sexdienstleister:innen einbeziehen
Die Stimmen von Sexarbeiter:innen sollten ernst genommen und in Berichte integriert werden.
Interviewanfragen können an sexworker.at und die Berufsvertretung Sexarbeit Österreich (BSÖ) gestellt werden. Sexarbeiter:innen müssen vorab transparent über Ziel und Thema des Artikels, Ablauf und Veröffentlichung informiert werden. Es sollte die Möglichkeit geboten werden, Zitate im wiedergegebenen Kontext vorab zu prüfen.
Verantwortungsvolle Bildauswahl
Klischeehafte Bilder, auf denen Sexarbeiter:innen auf einzelne Körperteile (z.B. Beine in Netzstrumpfhosen und High Heels) oder Arbeitsorte (z.B. Fotos von Sexdienstleister:innen vor Autos) reduziert werden, sind absolut zu vermeiden, weil sie ein stereotypes Bild verfestigen, das nicht mit der Realität übereinstimmt (z.B. stellt die Anbahnung auf der Straße nur einen sehr geringen Anteil der Sexarbeit dar).
Fotos sollten die Vielfalt in der Sexarbeit repräsentieren und nicht voyeuristische oder sensationsorientierte Zwecke erfüllen. Sexuell konnotierte Fotos, deren Zweck die Anbahnung von sexuellen Kontakten ist, sind nur bei Zustimmung zu verwenden.
Journalist:innen sollten die interviewte Sexarbeiter:in, sexworker.at, BSÖ oder Fachberatungsstellen für Sexarbeiter:innen in die Auswahl der bildlichen Darstellung mit einbeziehen.
Sexarbeit ist eine legale selbstständige Erwerbstätigkeit in Österreich
Sexarbeit ist in Österreich legal, wird reguliert und sollte auch dementsprechend medial transportiert werden.
Sexarbeiter:innen sind steuer- und sozialversicherungspflichtig.
Auf Ebene der Bundesländer wird geregelt wo, wann und wie sexuelle Dienstleistungen angeboten werden dürfen. Diese Vorschriften sind in Österreich komplex und uneinheitlich. Wird Sexarbeit außerhalb der landesgesetzlichen Vorgaben – etwa an nicht zugelassenen Orten oder ohne Registrierung – ausgeübt, handelt es sich um eine Verwaltungsübertretung.
Solche Übertretungen sind jedoch keine gerichtlichen Straftaten und sollten auch nicht als solche dargestellt werden. Zudem ist wichtig zu betonen, dass Verwaltungsübertretungen durch Sexarbeiter:innen nicht bedeuten, dass Dienstleistungen unfreiwillig bzw. unter Zwang angeboten werden.
Medienberichte, die Sexarbeit in einem „kriminellen Kontext“ darstellen, wirken sich in der Praxis negativ auf Sexarbeiter:innen aus und verfestigen stigmatisierende Haltungen in der Gesellschaft.
Fachberatungsstellen für Sexarbeiter:innen
Österreichweit gibt es in jedem Bundesland zumindest eine Fachberatungsstelle für Sexdienstleister:innen.
Diese bieten zielgruppenspezifische Beratung sowie Unterstützung an und leisten aufsuchende Arbeit:
• SXA-Info – Frauenservice Graz: Information und Beratung für Sexarbeiterinnen und Multiplikator*innen (Steiermark)
• iBUS: Innsbrucker Beratung und Unterstützung für Sexarbeiter*innen (Tirol und Vorarlberg)
• Checkpoint Sexuelle Gesundheit: Kärntner Beratungsstelle für Sexdienstleister*innen (Klagenfurt)
• LENA – Caritas OÖ: Beratungsstelle für Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind oder waren (Oberösterreich)
• maiz: Autonomes Zentrum von und für Migrant*innen (Oberösterreich)
• PiA – Frau & Arbeit: Information & Beratung für Sexarbeiter*innen (Salzburg)
• LEFÖ-Tampep: Beratung, Bildung und Begleitung für Migrant*innen (Wien)
• SOPHIE: Beratungszentrum für Sexarbeiterinnen (Wien und aufsuchend im Burgenland und in Niederösterreich)
• Sozialberatungsstelle für Sexuelle Gesundheit: Beratung und Betreuung für Menschen in der Prostitution – MA 15 Gesundheitsdienst der Stadt Wien